MADAME MADAME

Auf dem Weg zum Fotomuseum, der mich durch einen abseits gelegenen, von Touristen kaum besuchten Teil der Medina führt, werde ich von einem Marokkaner angesprochen: „Madame, Madame…wohin des Weges?“ Aus reiner Höflichkeit beantworte ich seine Frage. Der Fremde überlegt nicht lange, macht durch Zeichensprache deutlich, dass er mich zum Zielort bringt und läuft einfach vor.

Nach ein paar Metern begreife ich, dass das kein Freundschaftsdienst ist und erinnere mich an ein Gespräch mit einem einheimischen Reiseführer, der in so einem Fall 10 Dirhams Trinkgeld empfiehlt (etwa 1€). Um ganz sicher zu sein, alles richtig zu machen, gebe ich meinem selbst ernannten „Guide“ 20 Dirhams und bin perplex…. denn der Fremde schüttelt verärgert den Kopf und fordert 50.

Wow, denke ich – jetzt weiß ich, was Goethe mit dem Satz „zwei Seelen schlagen, ach, in meiner Brust“ meint. Der erste Anteil, der in meiner Brust schlägt, schaut sich ängstlich in der nahezu leeren Gasse um und gibt klein bei – mit der inneren Haltung „du bist hier nicht sicher, gib ihm einfach die 50 Dirhams und verschwinde“. Mein zweiter innerer Anteil hat das inständige Bedürfnis nach „freiem Willen“. Mit dieser klaren Absicht nehme ich bewussten Augenkontakt auf und erkläre, dass ich nicht um Hilfe gebeten habe; dass ich bereit bin 20 Dirhams zu geben und dass dieser Betrag wirklich von Herzen kommt. Der Marrokaner nickt stumm, dreht sich um und geht weg.

Später frage ich mich: Warum habe ich diesem Mann nicht einfach die 50 Dirhams gegeben? War da mein Ego mit im Spiel? Geht es hier um Macht? Nein. Mir war wichtig aus meinem Bedürfnis heraus zu entscheiden – nämlich aus freiem Willen; und nicht aus Angst.

Salãm.

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