OBERHITZE

Samstagnachmittag – wir erwarten Freunde zum Abendessen. Jetzt noch schnell den Nachtisch vorbereiten und die Gäste können kommen. Während ich den Backofen für die Tarte aux Pommes vorheize und den Zucker karamellisiere, zerkleinert mein Mann die Äpfel und rollt den Teig aus. Die Handgriffe sind routiniert und die Tarte im Nu im Ofen – Backzeit 25 Minuten.

Nach etwa zehn Minuten höre ich meinen Mann aus der Küche rufen: “Du, der Tarteboden ist schon ziemlich braun. Ich stell’ den Herd mal runter, damit der Boden nicht verbrennt!” Den habe ich schon tausend Mal so gebacken, denke ich bei mir, und antworte etwas ungehalten: ”Nee, lass mal, das ist schon alles richtig eingestellt.”

Sekunden später werfe ich selbst einen Blick in den Ofen. Mit leichtem Schrecken wird auch mir klar, dass der Nachtisch verbrannt sein wird, wenn der Tarteboden weiter so viel Hitze bekommt. Bestimmt sind die Äpfel auch schon ganz matschig und der Nachtisch komplett ruiniert. Frei nach dem Motto: “Hier bitte schön, liebe Gäste, la Tarte aux Mort délicieuse mit breiigen Äpfeln, verbranntem Boden und einem Klecks Creme frâiche!”

Beim Runterregeln der Ofentemperatur fällt mir auf woran es liegt: Ich habe den Herd auf Oberhitze eingestellt, statt auf Umluft – wie gewöhnlich. Kein Wunder also, dass der Teigboden, der ja beim Backen einer Tarte zunächst oben liegt und später gestürzt wird, so schnell Farbe angenommen hat. Wie konnte ich nur einen so dämlicher Fehler machen, beginnt die deutsche Fehlerkultur an mir zu nagen. Ich beginne mich selbst zu verurteilen und meine Stimmung rauscht in den Keller.

Die Überraschung dann beim Stürzen des Backwerks: In der Vergangenheit blieben grundsätzlich Apfelspalten in der Tarteform kleben, die ich mühevoll an ihren Platz zurück drapieren musste. Dieser Kuchen hingegen lässt sich nicht nur kinderleicht aus der Form lösen, er ist makellos: knuspriger, goldbrauner Boden und perfekt gegarte Äpfel. Mein Fehler wird zum Glücksfall und damit zu einer schönen Räuberleiter: Wir tun immer wieder Dinge auf die gleiche Art & Weise, meist ohne je zu hinterfragen, ob sie wirklich Sinn machen. Und wenn unsere Routine durch einen Fehler unterbrochen wird, dann fangen wir an, an uns zu zweifeln anstatt uns neugierig auf ein vielleicht ungewohnt positives Resultat zu freuen.

Es kann also sehr nützlich sein Gewohnheiten zu verändern, um Neues entstehen zu lassen und neue positive Erfahrungen zu machen. Dabei ist wichtig auf dem Weg zum Ergebnis die eigenen Fehler nicht als Niederlage zu betrachten. Sondern neugierig zu beobachten, welche Überraschung das Leben vielleicht für uns parat hält.

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