AUTSCH

Montagmorgen. Ich beschließe mein Homeoffice für einen perfekten Wochenstart in meinen Lieblings-Coffee-Shop zu verlegen, wo es guten Espresso und schnelles WLAN gibt. Nachdem ich am Tresen meine Bestellung aufgegeben habe und nach einem ruhigen Plätzchen Ausschau halte, blicke ich zu meiner Freude in ein vertrautes Gesicht: Es ist Kathrin, der ich neulich in einem ihrer Workshops begegnet bin. Während wir uns begeistert begrüßen und schon stehend im Gang unsere gemeinsamen Workshop-Erinnerungen auffrischen, blafft es uncharmant von rechts: “Könnt ihr euch vielleicht woanders hinstellen”. Die Dame, vor deren Tisch wir stehen, fühlt sich offensichtlich durch unsere überschwängliche Freude gestört. Unsere Wiedersehens-Begeisterung ist kurz verraucht. Kathrin und ich verstummen.

Während wir uns auf leisen Sohlen an einen Tisch zurückziehen, spüre ich, wie dieser kleine Zwischenfall nachwirkt. Ein fieses Gefühl macht sich in mir breit. Warum bringt mich diese, eigentlich völlig harmlose Bemerkung, aus dem Gleichgewicht?

Ich beginne zu überlegen, woher ich diese Stimmungslage kenne… Mir kommt eine Situation aus der Schulzeit ins Gedächtnis: als ich während des Unterrichts mit meiner Tischnachbarin freudvolle Erlebnisse austausche und vom Lehrer übertrieben gemaßregelt werde. Voller Scham und Schuldgefühl hätte ich mich am liebsten in Luft aufgelöst.

Genau das gleiche Gefühl steigt auch jetzt in mir auf und verhagelt mir meine Montagsstimmung. Heute bin ich erwachsen – also warum kümmert mich die schlechte Laune einer fremden Person? Offenbar sind diese Gefühle des Verletztseins in meinem System abgespeichert und werden bei ähnlichen Situationen wieder abgerufen. Eine Art emotionale Narbe, die noch nicht vollständig verheilt ist und sich von Zeit zu Zeit bemerkbar macht.

Ich mache mir also, Räuberleiter sei Dank, bewusst, dass dies ein Phantomschmerz aus meiner Kindheit ist und nichts mit der Gegenwart zu tun hat. Und als erwachsene Frau habe ich die Wahl anders zu reagieren. Diese Bewusstheit hilft mir mich mit der Situation zu versöhnen und erinnert mich daran, dass ich keine Zwölf mehr bin.

Wenn wir es schaffen uns in solchen Momenten an unsere alten Narben zu erinnern, anstatt uns gedanklich zu verurteilen, dann können wir die Verantwortung für unsere Gefühle selbst übernehmen – dann sind wir frei.

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